Es ist Montag. Aber nicht irgendein Montag, nein. Es ist Montag, der 19.11.2012, an dem Frau Scheiner und ich mit dem Lamido und seinem kompletten Hofstaat nach Tcholliré reisen.
Zunächst beginnt der Tag ganz normal. Mit den Kindern laufen, frühstücken, Kreide für die Schule verteilen und alles vorbereiten. Nachdem das erledigt ist, gehen Frau Scheiner und ich zu unserem Haus und bereiten alles für die Reise vor. Das bedeutet, dass alles, was wir für eine knappe Woche brauchen, in einen Rucksack gepackt werden muss. Mein Rucksack ist zwar am Ende recht voll, aber wenigstens habe ich auch wirklich alles drin: Anziehsachen zum Wechseln, Handtuch, Laptop, Kamera, Handy, diverse Ladegeräte, Taschenlampen, Klopapier und mein Taschenmesser. Gut, dass wir nicht fliegen, denn mein Rucksack würde bei seinem jetzigen Gewicht sicherlich nicht als Handgepäck durchgehen. Diese Erfahrung haben wir schon ganz am Anfang unserer Reise in Deutschland gemacht, denn Frau Scheiners Handgepäck hatte 21 Kilogramm (zum Vergleich: normales Gepäck maximal 23 Kilo, Handgepäck 10 Kilo), und ist somit natürlich nicht angenommen worden, sondern musste in den Gepäckraum gebracht werden.
Um ca. 9 Uhr ist alles fertig gepackt und es heißt warten. Das heißt es in Kamerun ja häufig. Also warten wir.
Nachdem wir den halben Tag gewartet haben und unsere Gepäckstücke schon wieder halb ausgepackt sind, da wir die Wartezeit ja auch irgendwie nutzen wollen, indem wir z.B. an Berichten arbeiten, gehe ich um 14:30 ins Kinderhaus, um etwas zu essen und nach dem Rechten zu sehen. Die Kinder sind nicht sonderlich überrascht, dass unsere Reise noch auf sich warten lässt. Es ist wohl normal, dass gerade der Lamido sich gerne etwas mehr Zeit lässt, bzw. immer irgendwas dazwischen kommt, das den nächsten Termin hinauszögert.Um 16:00 kommt die Frage bei uns auf, ob wir überhaupt heute noch loskommen, da nach 18:00 die Fahrt durch die Dunkelheit doch sehr erschwert wird. Die Antwort lautet: nein, wir fahren doch nicht los. Also haben wir einen kompletten Tag gewartet, um zu erfahren, dass wir doch erst morgen fahren.
Es ist Dienstag. Aber nicht irgendein Dienstag, nein. Es ist Dienstag, der 20.11.2012, an dem Frau Scheiner und ich mit dem Lamido und seinem kompletten Hofstaat nach Tcholliré reisen.
Wie auch am Montag beginnt der Tag normal im Kinderhaus. Heute allerdings haben wir die Information, dass schon um 8 Uhr die Abfahrt geplant ist. Da unsere Sachen ja von gestern noch gepackt sind, versetzt uns das aber nicht in unnötigen Stress. So gegen halb 9 machen wir uns dann auf den Weg zum Palast, um das geschäftige Treiben all derer zu beobachten, die mit uns fahren. Wenn der Lamido verreist, dann verreisen nämlich auch alle mit ihm, die für ihn wichtig sind, oder sich für wichtig halten. Es fahren also z.B. die Dogaris mit, welche ihm von seinen Dienern am nächsten stehen. Es fahren aber auch alle anderen Diener mit. Dazu noch die Palastfrauen, die für den Lamido kochen und, wie im Fall unserer Reise nach Tcholliré, auch noch viele weitere Amtsinhaber und Angestellte des Lamido, die bei der Zeremonie des Amtswechsels vom Präfekten und der Einstellung der neuen Richter anwesend sein wollen oder müssen. Am Ende sind wir mit ungefähr 4 Kleinbussen und 6-7 Autos unterwegs. Doch bevor wir uns auf den Weg machen können, müssen alle diese Fahrzeuge ja auch noch beladen werden. Und genau wie bei den Menschen kommt auch beim materiellen Besitz des Lamido alles mit, was nicht niet und nagelfest ist. Angefangen bei den Töpfen der Kochfrauen, von denen jede natürlich auch ihre eigenen Töpfe mitnehmen muss, bis hin zum Stuhl des Lamido, der für ihn dann im Palast von Tcholliré aufgestellt wird. Selbst ein noch lebender Ziegenbock wird hinten auf einen Pick-Up Truck geladen und mitgenommen. Es darf dem Lamido ja an nichts fehlen und so reisen wir nach dem Prinzip: besser zu viel, als zu wenig. All dieses Gelaufe und Gepacke hat mich irgendwie an den Titel des Disney-Films „Das große Krabbeln“ erinnert, denn auch der Hofstaat des Lamido ist ein bisschen wie ein Ameisenhaufen, in dem alle durcheinanderlaufen und am Ende trotzdem alles irgendwie funktioniert.
Um 10 Uhr am Dienstag beginnt dann endlich unsere Fahrt, die am Montag starten sollte. Frau Scheiner und ich fahren zusammen mit den Frauen des Palastes in einem Bus. Schon diese Busfahrt ist ein ungeheures Erlebnis. Einerseits vertrauen wir unser Leben einem Fahrzeug an, das verglichen mit den anderen Bussen in Kamerun vielleicht noch gut sein mag, aber in das in Deutschland niemand mehr einsteigen würde. In Kamerun darf man darüber gar nicht nachdenken, sondern besser blind darauf vertrauen, dass schon alles so kommt, wie es kommen soll. Andererseits fahren wir auch mit einer ohrenbetäubenden Geräuschkulisse. Während aus dem Radio und dem Handy einer der Frauen laute Musik ertönt, telefoniert der Mann neben mir in kamerunischer Lautstärke und alle Frauen singen gleichzeitig auch noch ein Lied, welches aber weder vom Radio, noch vom Handy begleitet wird. So geht es, abgesehen von ein paar Gesangspausen der ca. 20 Frauen, fast 2½ Stunden lang, bis wir endlich um halb eins in Tcholliré eintreffen.
Wir halten direkt vor dem Palast, der für den Besuch des Lamido extra noch mal gestrichen wurde, und gehen vor dem Palast dann unser neuen Lieblingstätigkeit nach: Warten. Nachdem der Dachträger des Busses vom Gepäck, welches ca. 1,5 Meter hoch darauf gestapelt war, befreit ist, werden für uns sogar zwei Stühle organisiert, damit das Sitzen, welches ansonsten auf den Baumwurzeln oder den Basaltsteinbrocken oder im Sand stattfinden würde, nicht ganz so unbequem ist. Diesmal warten wir darauf, dass die Frage unserer Unterbringung, besser gesagt meiner Unterbringung, geklärt wird, da für Frau Scheiner ein Zimmer bereitsteht, für mich allerdings noch nicht. Doch die Wartezeit ist wenigstens von spannenden Anblicken erfüllt, denn es kommen nach und nach immer mehr Fahrzeuge am Palast an. Bei einem Kleinbus habe ich das Gefühl, im Zirkus zu sein und ein Auto mit Clowns vor mir zu haben, aus dem mehr Menschen aussteigen, als eigentlich hineinpassen würden. Direkt nach diesem rostigen und halb kaputten Raumwunder kommt ein LKW an, dessen Ladefläche voll mit Männern ist. Das zumindest denken Frau Scheiner und ich, als der Wagen ankommt. Doch dann, nachdem die Männer abgestiegen sind, fällt uns auf, dass in der Mitte der Ladefläche noch mal ebenso viele Frauen sitzen, die wohl nicht das Anrecht auf einen richtigen Sitzplatz am Rand haben und die von der Männerwelt völlig unterdrückt waren. Man könnte fast sagen, dass dies ein Symbol für die kamerunischen Verhältnisse ist, da die Frauen so gut wie immer von den Männern unterdrückt werden.
Um 14 Uhr ist für mich dann ebenfalls eine Unterbringung organisiert, und wir fahren zur Auberge Amical. Der erste Eindruck der Auberge ist für mich ganz angenehm. Der Blick von der Straße aus verrät, dass sich direkt neben der Auberge die Bar Amical befindet. Tritt man durch das grüne Eiseneingangstor der Auberge, so sieht man auf einen kleinen aber recht sauberen Innenhof, der über 2 Wäscheschnüre und eine Menge Türen verfügt, über denen die Zimmernummern stehen. Direkt das erste Zimmer auf der linken Seite (Nummer 13) ist für Frau Scheiner reserviert. Es ist ein Zimmer mit einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl, einem eingebauten Schrank und auch einem Bad mit Klo und Dusche, in dem das Klo allerdings nicht geht, und man fast auf dem Klo stehen muss, um zu Duschen. Ihr Zimmer liegt auf dem Gelände am weitesten von der Bar entfernt. Mein Zimmer hingegen liegt auf der genau gegenüberliegenden Seite der Auberge. Es verfügt über ein Bett und einen Stuhl. Dafür kann es aber mit einem Paar alter Flip-Flops eines vorherigen Besuchers und unzähligen Spinnenweben auftrumpfen. Das Bad, das ich benutzen muss, ist aber zum Glück direkt neben meinem Zimmer. Der erste Blick verrät jedoch, dass die Tür nicht zu schließen ist, die Klospülung nicht geht und das Waschbecken keinen Wasserhahn hat.
Ich habe aber direkt nach unserer Ankunft nicht viel Zeit, mich über so viel Komfort zu freuen, da nach kurzem Ausruhen mein Telefon klingelt und Frau Scheiner sich mit den Worten meldet: „Hannes? Ich bin im Gefängnis. Bring deinen Fotoapparat mit“. Eine schockierende Begrüßung, wenn man nicht weiß, dass Frau Scheiner in Tcholliré ein Gefängnisprojekt für die dort inhaftierten Frauen betreut. Also werde ich abgeholt und zum Gefängnis gefahren. Anstatt einer Frau Scheiner hinter Gittern, finde ich dort einen reich gedeckten Tisch und Menschen, die das Gedeckte auch mit uns teilen wollen, vor. Frau Scheiner meint, sie wolle mir das nicht vorenthalten, und so lerne ich unter anderem den Gefängnisdirektor kennen, und bekomme auch noch sehr leckeres Essen. Doch lange können wir dort nicht bleiben, da der Lamido bald ankommt und wir deshalb zum Palast gehen, wo schon ein riesiger Menschenauflauf drauf wartet ihn zu begrüßen. Wir gesellen uns dazu und beobachten das Schauspiel, das sich uns bietet. Es ist wie eine Allee aus Menschen, die an der Straße stehen, und darauf warten, dass ihr Lieblings-Prominenter gleich über den roten Teppich geht. Der rote Teppich ist in diesem Fall zwar rotbraun wie die Erde und der Star wird vermummt im Auto an uns vorbeigefahren, aber das hindert die Menschen nicht daran, zu tanzen, zu singen und zu schreien, sobald der Lamido endlich auftaucht. Nach ca. 30 Sekunden ist der ganze Zirkus dann auch schon wieder vorbei und der Lamido im Palast verschwunden, wo ihn alle wichtigen Menschen jetzt begrüßen. Frau Scheiner ist schnell genug, sich hineinzuschleusen, doch mir verwehren die Palastwachen dann leider den Zutritt, weshalb ich einen Blick auf den ungeheuren Andrang am Palasttor werfen kann. Die Palastwachen haben alle Hände voll zu tun, die Menschen, die nicht hinein dürfen, am Eintritt zu hindern. Ein Blick hinter die Reihen der Menschen zeigt allerdings etwas, das so ganz und gar nicht in das Bild der barfüßigen und traditionell gekleideten Menschen passen will. Nämlich zwei Soldaten in Uniform und mit Maschinengewehren, die ihnen von der Schulter baumeln. Der Lamido reist natürlich nicht ohne Schutz, obwohl die Soldaten wohl eher nur eine Machtdemonstration sind. Die zwei stehen aber, mehr oder weniger unbeteiligt und unverhohlen gelangweilt, in der Gegend herum und beobachten, was alles passiert.
Aber alles, was noch passiert, ist, dass jene, die den Lamido begrüßt haben, den Palast wieder verlassen, und sich auf den Heimweg machen. Kurz danach kommen die Palastfrauen heraus und jede bringt eine Kalebasse zu den Leuten, die Essen aus dem Palast erhalten. So auch zu Frau Scheiner und mir in die Auberge. Nachdem wir also nett zu Abend gegessen haben, habe ich noch wenig Lust, mein luxuriöses Zimmer aufzusuchen und deshalb begebe ich mich noch in die neben der Auberge liegende Bar. Sofort nach dem Eintreten werde ich an einen Tisch gebeten, an dem 5 große Männer sitzen, reden und sich amüsieren. Nachdem ich mich dazugesetzt habe, reden wir über alle möglichen Themen und trinken ein bisschen was zusammen. Zum Glück sind 2 der Anwesenden anglophon, was mir die Kommunikation doch stark erleichtert, da mein Englisch doch sehr viel besser ist, als mein fast nicht existentes Französisch. Nachdem wir ungefähr eine halbe Stunde geredet haben, erfahre ich, dass die Männer Soldaten sind und nur für kurze Zeit in Tcholliré wohnen, um an der Veranstaltung am Mittwoch, also am nächsten Tag, teil zu nehmen. Ich begebe mich dann allerdings auch schon wieder zu Bett, beziehungsweise zunächst in die Auberge. Da sitzt Frau Scheiner mit dem Gerichtsvollzieher und einem Topf voll Essen. Aus der Bar werden noch Getränke besorgt und so essen wir noch einmal zu Abend. Danach versuche ich zu schlafen, wobei mir die Bar nach und nach immer weniger gefällt. Denn mein Zimmer liegt leider genau an der Hofwand der Bar und dementsprechend habe ich kostenlos aber auch ungewollt Zwangsbeschallung in hoher Lautstärke.
Am nächsten Morgen wache ich, trotz der Musik einigermaßen ausgeschlafen, auf und stelle fest, dass diese auch um 6:00 Uhr noch nicht aufgehört hat zu plärren. Also stehe ich auf und gehe in das Badezimmer, um mich zu Duschen und fertig zu machen. Leider muss ich aber feststellen, dass man sich nach einer Dusche im besagten Bad eher dreckiger, als sauberer fühlt. Nichts desto trotz wird genutzt, was ich bekommen kann. Im Bad liegt wenigstens eine lange Eisenstange, die ich zwischen die Mulde der Dusche und die Tür klemme, um letztere zu schließen. Immerhin brauche ich jetzt keine Angst mehr zu haben, dass plötzlich ungewollter Besuch hereinplatzt.
Nach dem Duschen gibt es Frühstück, welches aus 2 Pampelmusen und einem Maismehlbrot besteht. Von dem Brot heben wir uns allerdings etwas auf, damit wir später noch bei der Amtseinführung des neuen Präfekten essen können, falls wir zu großen Hunger bekommen.
Bevor wir zum Ort der Zeremonie gehen, besuchen wir noch den Palast, vor dem, nach wie vor, großer Andrang herrscht. Wir bitten um eine kurze Audienz und warten. Das machen wir ja so gerne. Wenigstens gibt es während der Wartezeit viel auf dem Palastplatz zu sehen. So zum Beispiel Tänzer, ein Einradkünstler, Musiker und natürlich auch viele Schaulustige. Wir müssen aber zum Glück nicht so lange warten und können kurz mit dem Lamido sprechen. Es geht zwar nur um das Problem, welches Frau Scheiner mit dem Versenden und Empfangen ihrer Emails hat, aber trotzdem soll es ja geklärt werden. Nach der kurzen Unterredung, die uns den Internetstick des Lamido beschert hat, gehen wir dann zum Stadion, in dem der Amtswechsel des Präfekten stattfindet. Stadion klingt allerdings nach mehr, als wir vorfinden. Es ist eine Tribüne, mehr nicht. Um 10:00 Uhr soll die Veranstaltung offiziell starten. Also sind wir um kurz nach 10:00 Uhr da und, welche Überraschung, warten. Wir warten für ca. 2½ Stunden, bis endlich etwas Anderes passiert, als dass Menschen, die sich für wichtig halten, durch die Gegend laufen und man ihnen dabei zusieht. Trotzdem wurde damit im Endeffekt der Hauptteil der Zeit gefüllt. Nachdem das Herumlaufen erledigt ist, gibt es eine Rede, die leider für das Publikum viel zu lang war, und die Verlesung der Urkunde zur Amtseinführung. Dann einige Formationen der Polizisten und Soldaten, die die ganze Zeit auch noch in der Sonne stehen müssen. Daraufhin kommt die eigentliche Amtsübernahme. Diese besteht daraus, dass der alte und der neue Präfekt sich in zwei Kreidekreise stellen, und, auf ein Zeichen hin, die Plätze wechseln. Während sie aneinander vorbeigehen sehen sie sich allerdings nicht an, sondern geben sich nur einmal halbherzig die Hand. Frau Scheiner und ich machen uns dann allerdings auch wieder auf den Weg in die Auberge, um dort die Avocados, Bananen und Brote, die wir auf dem Rückweg besorgt haben zu verspeisen. Nach dieser leckeren Mahlzeit nehme ich mir eine Auszeit und lege mich ein bisschen ins Bett. Als ich um 18:00 Uhr wieder aufstehe, gehe ich davon aus, dass Frau Scheiner schläft und deshalb gehe ich vor die Auberge, wo ich die Soldaten wieder treffe, die schon abreisen. Nach kurzem Gespräch erzählt mir der Soldat allerdings, dass sie nochmal nach Rey Bouba kommen, bevor ich nach Deutschland zurück fahre, und dass er mich dann mal im Kinderhaus besuchen wird, damit wir weiter reden können. Dann taucht auch Frau Scheiner auf, die nicht geschlafen hat, sondern versucht hat, ihre mehr als 100 Mails beim Gerichtsvollzieher zu empfangen. Allerdings blieb der Erfolg dabei aus, weshalb wir uns nach einem Abendessen dann ins Bett begeben.
Der nächste Tag beginnt so, wie die letzten auch. Frau Scheiner und ich bereiten uns ein Frühstück und danach haben wir wieder etwas Zeit. Heute ist die Amtseinführung der neuen Richter, der wir beiwohnen werden. Doch zunächst müssen wir herausfinden, wo diese stattfindet, da das Stadion diesmal wohl nicht der Ort des Geschehens ist. Also werden wir vorerst zu einem hohen Beamten, dem Oberstaatsanwalt, nach Hause gebeten, wo es viel Essen und Trinken gibt. Nicht nur das Essen, sondern auch die Einrichtung des Hauses erscheint paradiesisch, wenn man sich die Lehmhütte auf dem Grundstück ansieht, dass direkt angrenzend liegt. Doch die Herren, die sich im schönen Haus verköstigen, scheint dieser Umstand wenig zu stören oder zu bedrücken.
Kurz nach unserer Ankunft geht es dann schon wieder weiter. Wir fahren in einem Auto, welches für 5 Personen schon eng ist, mit sieben Passagieren. Es ist dementsprechend gequetscht und unbequem. Trotzdem kommen wir am Ende der Fahrt, und nach einem Zwischenstopp, den man sicherlich auch vorher hätte erledigen können, da er nur dazu diente, noch etwas einzuladen, beim Gericht an.
Wenn ich mir vor dem geistigen Auge ein Gericht vorstelle, so ist dies für mich ein großes und eindrucksvolles Gebäude, welches, aufgrund seiner Wichtigkeit, auch in gutem Zustand gehalten wird. Nicht so in Tcholliré. Auf dem Gerichtsgelände stehen 4 Gebäude. 3 davon machen den Eindruck, als würden sie jeden Moment zusammenfallen können. Überall sind Wasserschäden und weder diese noch die kaum noch vorhandene Farbe scheinen behandelt zu werden. Ich würde mich vermutlich schämen, wenn ich in einem solchen Haus leben oder arbeiten müsste, da der Zustand wirklich sehr schlecht ist. Das vierte Gebäude, in dem auch die Amtseinführung der Richter stattfindet, besteht nur aus einem Raum. In diesem Raum stehen Holzbänke und heute auch viele bunte und nicht wirklich zur Umgebung passende Plastikstühle. Vorne, quer zum Publikum, ist der Tisch des Richters, rechts der des Verteidigers und links derjenige des Staatsanwalts. Der ganze Raum ist voll mit Menschen, die sich die Zeremonie ansehen wollen, und sowohl draußen, als auch drinnen finden sich Soldaten. Vor dem Gebäude stehen ca. 10 Soldaten und Polizisten, die jedoch nicht mehr zu tun haben, als den Ankommenden zu sagen, durch welche Tür sie gehen dürfen.
Die Veranstaltung beginnt damit, dass die neuen Richter einmarschieren, oder besser gesagt einschlurfen. Sie gehen im Takt zum berühmten Kanon von Pachelbel, der allerdings stark an Schönheit verliert, da er in einer ohrenbetäubenden Lautstärke abgespielt wird, der die Lautsprecher nicht gewachsen sind. Die Richter tragen allesamt weißgelbe, gelockte Perücken auf ihren schwarzen Köpfen, die einerseits etwas fehl platziert aussehen, und andererseits aber auch unglaublich heiß sein müssen. Ich schwitze schon im T-Shirt und die Richter müssen auch noch lange Roben tragen. Nachdem die Richter also, unter dem übersteuerten Fiepen der Boxen, eingelaufen sind, werden in zwei Ansprachen durch die Generalstaatsanwältin und den Präsidenten des Gerichts die bisherigen Karrieren und Lebensläufe vorgelesen, sowie die Pflichten der neu ernannten Richter in ihrer jetzigen Beförderungsposition erläutert. Allerdings kann ich, beschränkt durch meine Französischkenntnisse und die Verständlichkeit der Sprache, die ebenfalls über die Boxen viel zu laut verstärkt wird, nicht viel verstehen. Nach der ca. 1,5 Stunden langen Veranstaltung gibt es draußen vor dem Gebäude eine Art Fototermin für ein sog. Familienfoto, bei dem jeder, mit einer Kamera, Bilder schießt, wie verrückt.
Verschiedenste Personenkonstellationen werden abgelichtet und nach einer weiteren halben Stunde dürfen die Richter endlich ihre viel zu warm aussehenden Kleider und Perücken ablegen. Daraufhin geht es weiter zum Lamido, bei dem die neuen Richter ihre Aufwartung machen müssen, obwohl dies eigentlich anachronistisch ist. Denn was hat der Lamido, als religiöses Oberhaupt der Muslime des Mayo Rey Gebietes, mit der „demokratisch gewählten Justiz“ zu tun? Er gibt aber dennoch eine Audienz für die Richter und die wichtigen Justizbeamten. Frau Scheiner, als ehem. Richterin, und ich dürfen dem Treffen auch beiwohnen.
Das Gespräch läuft allerdings anders ab, als ich es erwarte. Wir sitzen im Hof des Palastes im Kreis um einen, von den Deutschen vor 100 Jahren gepflanzten, Baum und alle reden ungezwungen miteinander, oder Telefonieren. Letzteres teilweise sogar mit zwei Telefonen gleichzeitig. Man könnte meinen, dass der Lamido auch nur einer der Gäste in dieser Runde sei, wenn er nicht vermummt wäre und vor dem Eingang seines offiziellen Begrüßungsraumes des Palastes säße. Eigentlich dient dieses Treffen auch nur dazu, dass der Lamido die neuen Richter zu Gesicht bekommt, und so ist die Stimmung eher wie unter ebenbürtigen und nicht wie zwischen Herrscher und Untergebenen. Der Lamido unterhält sich im Wesentlichen mit der Generalstaatsanwältin und dem Delegierten für den Strafvollzug, und damit immerhin mit zwei Personen, die dem Justizminister und damit der Politik, d.h. dem Präsidenten von Kamerun unterstehen. Natürlich haben auch alle, die eine wichtige Position innehaben, das Bedürfnis, ihre Wichtigkeit zu demonstrieren. Der Mann, der direkt neben Frau Scheiner sitzt, tut das zum Beispiel durch seine Armbanduhr, die nur zur Demonstration seines Standes dient. Denn trotz der Uhrzeit von 14:50 Uhr, zeigt seine Uhr stur 12:00 Uhr an. Dazu kommt auch noch, dass ihm die Armbanduhr viel zu groß ist. Sie ist so überproportional, dass er vermutlich nicht mal den Arm senken kann, ohne sie zu verlieren. Aber sie demonstriert seinen Reichtum und seine Stellung und nur darauf kommt es an. Außerdem braucht er ja als Afrikaner keine funktionierende Uhr, da die Afrikaner ja bekanntlich die Zeit haben, und die Europäer die Uhren.
Nach einer Stunde der Konversation geht es für uns dann zunächst mal wieder zu dem luxuriösen Anwesen des Oberstaatsanwaltes, auf dem wir am Vormittag schon etwas gegessen hatten. Allerdings werden wir nicht hineingebeten, und so warten wir draußen vor dem Tor. Für eineinhalb Stunden sitzen wir nur da und drehen Däumchen, während auf dem Anwesen stetes Ein- und Ausgehen verschiedener Personen herrscht. Scheinbar wird während unserer Wartezeit sogar ein Ochse geschlachtet, von dem wir allerdings nur den Mageninhalt zu Gesicht bekommen, da dieser vor dem Anwesen neben der Straße in einem inzwischen trockenen Bachbett entsorgt wird. Den Geruch werde ich wohl nie mehr vergessen. Irgendwann wird es uns dann allerdings auch zu viel, nicht zuletzt, weil uns der leckere Duft des Wiederkäuermagens in die Nase zieht, und wir machen uns schon auf den Weg zum nächsten Programmpunkt, nämlich dem Essen im „Haus der Frauen“, das von der Regierung für die örtliche Frauengruppe der Regierungspartei errichtet wurde. Das Essen steht bei unserer Ankunft noch zugedeckt auf einer Tafel in der Mitte eines großen Raumes. Wir dürfen an einem der Tische Platz nehmen, und müssen uns allerdings auch hier noch lange gedulden, bis wir etwas essen können. In der Wartezeit fasst Frau Scheiner einen spontanen Reiseentschluss und teilt mir mit, dass sie direkt nach dem Essen nach Garoua fährt, um dort hoffentlich ihre über 100 ungelesenen E-Mails empfangen zu können. Also nimmt sie dafür eine Reise von 500km auf sich, nur um vernünftigen Internetempfang zu haben. Das kostet nicht nur Nerven, sondern vor allem auch Geld und in Deutschland würde dafür jeder mehr als nur schief angesehen werden. Aber der Entschluss steht fest, was für mich bedeutet, dass ich am nächsten Tag alleine nach Rey Bouba fahren werde. Nachdem diese Entscheidung getroffen ist, gibt es dann auch etwas zu essen. Das Buffet ist reichlich gedeckt, doch Frau Scheiner gibt mir direkt den Rat, mir sofort so viel zu nehmen, wie ich will, da man in Kamerun nicht nachnehmen kann. Sobald sich nämlich alle ihren Teller voll geschöpft, dann ist das Buffet auf jeden Fall alle. Also schlagen wir zu, solange es die Möglichkeit gibt. Und am Ende ist das Buffet, wie schon prophezeit, völlig abgetragen. Dann trennen sich fürs erste die Wege von Frau Scheiner und mir, und werden sich erst bei nächster Gelegenheit wieder vereinigen, da man in Kamerun nie genau sagen kann, wann Frau Scheiner die Chance hat, zurückzufahren.
Am nächsten und gleichzeitig auch meinem letzten Tag in Tcholliré besteht mein Morgen diesmal zunächst nicht aus einem leckeren Frühstück, sondern aus dem Versuch, festzustellen, mit wem ich nach Rey Bouba fahre. Durch Zufall finde ich es aber schon um 6:30 Uhr heraus, da ich einen meiner Mitfahrer vor der Auberge treffe und mir dieser erzählt, dass wir erst um 12:00 Uhr abfahren. Also habe ich noch knapp 6 Stunden, um ein bisschen zu schlafen, mich auszuruhen oder kurz: um wieder zu warten.
Um 12 Uhr geht es dann los. Jedoch nicht zum Palast, wie ich es erwarte, sondern zunächst zur Bank. Hier treffen wir Herrn Telto, den Bankier, der ein Bekannter von Frau Scheiner ist, und der uns in sein hinter der Bank gelegenes, Haus führt. Dort bekommen wir etwas zu essen. Dieses Essen besteht aus Ochsenfleisch, Brot mit echter Butter und heißem Wasser, mit dem ich mir Milch oder Tee aufgießen kann. Eine Stunde des Essens und der gemischten Gespräche über Obama, Fußball und Verkehrssicherheit später erheben wir uns und ich denke, es geht los. Doch wir nehmen uns nur ein paar Stühle, setzen uns vor die Bank, und warten. Und warten. Und warten. Wir warten dort, ohne etwas zu tun, für 3 weitere Stunden. Nachdem ich das Gefühl habe, gar nicht mehr länger sitzen zu können, kommt endlich die Information, dass wir jetzt abfahren. Also begeben wir uns zum Palast und ich nehme wieder in dem Bus der Frauen Platz, in dem ich auch schon die Hinreise gemacht habe.
Die Rückreise ist vom Lärmpegel gut mit dem der Hinreise zu vergleichen, nur durch meine Müdigkeit leider noch schwerer zu ertragen. Gute 2 Stunden später kommen wir dann in Rey Bouba an. Es ist derweil schon dunkel und nach einem Essen im Kinderhaus lege ich mich ermattet zur Ruhe. Wer hätte gedacht, dass ständiges Warten so anstrengend sein kann? Nach dem kurzen Ausflug nach Tcholliré kann ich sagen: warten will gelernt sein und ich bin darin noch lange nicht so gut, wie die Kameruner, die es schon fast bis zur Perfektion darin gebracht haben. Aber ich werde besser. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist.