Die ersten zwei Wochen mit den Kindern  im Kinderhaus von Rey Bouba.

Meine ersten Wochen hier in Rey Bouba waren auf jeden Fall sehr eindrücklich. Sowohl gut, als auch schlecht. Die meiste Zeit hier nimmt wohl die Arbeit und die Beschäftigung mit den Kindern in Anspruch. Frau Scheiner hat mich gebeten, mit den Kindern Sport zu machen und sie auch sonst zu beaufsichtigen. Dazu gehört z.B. das Fußballspiel oder das Beschäftigen mit dem Spielzeug des Kinderhauses. Wir haben im Büro einen Schrank, in dem viele gespendete Spielsachen lagern, mit denen sich die Kinder auch sehr gerne beschäftigen. Das Problem ist nur, darauf zu achten, dass am Ende auch wirklich alles wieder an seinem Platz liegt. Ich habe für die Kinder auch Frisby-Scheiben mitgebracht und versuche, ihnen das Werfen beizubringen und eventuell auch mal ein richtiges Match mit ihnen zu veranstalten. Außerdem habe ich ja auch meine Gitarre dabei, die bei den Kindern schon recht viel Anklang gefunden hat. Sie freuen sich immer darüber, wenn ich ihnen abends etwas vorspiele. Die Hauptbeschäftigung mit den Kindern ist aber nach wie vor das Fußballspiel und jeden Morgen (bis auf Sonntags) um 5.45 Uhr eine Runde laufen.

Es fällt mir allerdings immer noch schwer, morgens um 5 Uhr aufzustehen und um 5.45 Uhr im Kinderhaus zu sein und dann loszulaufen. Die Kinder aber stehen schon mit den Hühnern auf und warten schon auf der Straße, dass ich komme.

Der Lauf ist eine Runde um den Palast. Der Palast ist umgeben von einer Mauer, die ca. 800 m lang ist. Meistens laufen 5 bis 8 Kinder mit mir mit. Wir haben eine Liste von allen Kindern erstellt, die grundsätzlich mitlaufen wollen. Jeder, der mitmacht, bekommt anschließend einen Strich für seine Teilnahme. Zum 1. Advent bekommt der oder die, die am meisten mitgelaufen ist, einen Preis, die anderen einen Trostpreis. Was genau dieser Preis sein wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Das werden Frau Scheiner und ich uns noch überlegen.

Das Fußballspiel nimmt viel Zeit in Anspruch. Die Kinder rennen vor dem Frühstück schon im Hof herum und kicken alles, was rund ist – von einer kleinen Scheibe, die sie aus den Flip-Flops geschnitten haben bis hin zu einem richtigen Fußball; selbst ein Fußball, der keine Luft mehr hat, dient immer noch zum Spielen.

Langsam gelingt es mir, die Namen der Kinder zu unterscheiden und auszusprechen. Zunächst hatte ich die Befürchtung, ich könne sie nicht auseinanderhalten aber mittlerweile geht es und ich lerne täglich mehr Namen und allgemeine Gebrauchswörter, wobei ich manchmal nicht unterscheiden kann, ob die Wörter auf Fulfulde oder auf Französisch ausgesprochen sind. Ich komme mit den Kindern aber schon ganz gut klar (nicht, dass ich sie im Griff habe, aber ich kann mich einigermaßen mit ihnen verständigen und gut beschäftigen). Im Griff habe ich sie weniger. Es gibt viel, worüber man im ersten Moment gar nicht nachdenkt und ich muss meine Augen überall haben, um nichts zu übersehen. Die Kinder sind alle voller Energie und tun auch ständig irgendetwas. Mal ist es sinnvoll, mal aber auch nicht. Oft ist wirklich viel Unsinn dabei und ständig muss man Streithähne trennen. Ich verstehe nicht alles, was sie mir erzählen, aber im Grunde können wir uns zumindest mit Händen, Füßen und einigen Wörtern unterhalten und sagen, was wir voneinander wollen, auch wenn ich meistens von einem Wort in einem Satz auf den Rest schließen muss. Es gibt aber auch schon Dinge, bei denen wir uns nicht mehr wirklich verständigen müssen, weil sie mittlerweile selbst für mich fast schon zur Routine geworden sind. Im Kinderhaus gibt es nämlich bestimmte Rituale.

Eines der Rituale, die jeden Tag abgehandelt werden, ist natürlich das Essen. Allerdings ist Essen bei den Kindern des Kinderhauses nicht einfach nur Essen… Zunächst einmal wird im Sitzen gegessen und mindestens mit einem Löffel. Das mag für uns normal klingen, ist für die Kinder aber etwas sehr ungewohntes. Sitzen, d.h. nicht auf dem Boden sondern auf Bänken. Die Bänke müssen erst einmal irgendwo vom Grundstück her herbeigeschafft werden und dann werden sie in einen Kreis oder in ein Karré gestellt. Das ist meistens die Aufgabe der Jungen. Es müssen mindestens 6 Bänke, auf denen jeweils 6 Kinder Platz haben, herbeigetragen werden. Das dauert oft einige Zeit, weil jedes von den Kindern die Arbeit scheut und gleichzeitig alle laut herumschreien, jeder nach der Hackordnung dem nächst Kleineren befiehlt, das Essen zu holen, keiner still sitzt und alle natürlich scharf darauf sind, möglichst zuerst und möglichst viel aus der großen Schüssel zu bekommen. In der Mitte des Kreises oder des Karrés steht ein kleiner Hocker, auf dem die Küchenfrau Platz nimmt. Vor ihr steht die große Schüssel oder der Container, in dem sich das Essen befindet. Bevor nicht alle sitzen und ihren Teller auf dem Schoß haben, wird das Essen nicht ausgeteilt. Auch das Austeilen des Essens geht nach einer Rangordnung. Zunächst bekommt der alte Nachhilfelehrer Issa seinen Teil, dann Frau Scheiner und ich als Gäste, danach der Hausmeister Ibrahima und dann bestimmt Frau Scheiner, bei welchem Kind begonnen und danach in der sitzenden Reihenfolge ausgeteilt wird.

Es gibt immer Streitereien. Immer. Ob es um einen Teller, einen Becher oder einen Löffel geht. Meistens ist das Thema: „Er hat meinen Teller geklaut!“ „Nein. Der gehört mir, Madame!“ und das wird sehr häufig in beeindruckender Lautstärke immer wieder und wieder wiederholt. So geht es jeden Morgen, jeden Mittag und vor allem jeden Abend. Ich weiß auch nicht, wieso, aber abends kommt mir der Trubel immer am extremsten vor. Vielleicht bin ich aber abends auch einfach kaputt und halte es nicht mehr so gut aus.

Ansonsten ist die Zeit der Kinder außerhalb der Schule geprägt von viel Bewegung, Lautstärke und Spiel. Ich spiele häufig mit den Jungen Fußball. Aber auch andere Spiele sind sehr beliebt. Z.B. spielen die Kinder gerne „Mensch ärgere dich nicht“, allerdings mit ihren eigenen Regeln. Im Kinderhaus gibt es zwei Arten von „Mensch ärgere dich nicht“. Eines für die Kleinen mit großen bunten Hütchen, einem Schaumstoffwürfel und einer großen Plastikunterlage, bei der man die Leiter hinauf und den Balken herunter muss, je nachdem auf welchem Feld man gerade ist.

Das klassische „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht Spiel“ habe ich einmal mitgespielt und auch gewonnen, bin mir aber nicht ganz sicher, wieso. Aber immerhin hat mir die Tatsache, dass die Kinder immer laut ausrufen, was auf dem Würfel steht, dabei geholfen, die Zahlen 1-6 auf Fulfulde zu lernen. Die Kinder bekommen die einzelnen Spiele oder Spielteile abgezählt ausgeteilt und müssen sie auch wieder an mich oder Frau Scheiner zurückgeben, bevor sie etwas Neues zum Spielen ausgeteilt bekommen. Andernfalls wären die Spiele längst in alle Winde zerstreut.

Es gibt montags bis donnerstags nachmittags auch Nachhilfeunterricht. Voraussetzung ist allerdings, dass der pensionierte Grundschuldirekor, der sowohl Nachhilfeunterricht als auch Hausaufgabenbetreuung machen sollte, anwesend ist. Das geht von 16 bis 17 Uhr. Aber auch dort sind die Kinder nicht ganz still, sondern reden laut vor sich hin, rennen hin und her, müssen plötzlich auf’s Klo, haben Durst und beschäftigen sich mit vielen Dingen aber nicht unbedingt mit ihren Aufgaben.

Außer dem Grundschuldirekor hatten wir auch schon Besuch von anderen Leuten. Der Friseur war da, weil die Kinder Läuse hatten und deswegen wurden den Jungen die Köpfe rasiert. Ich habe mich allerdings dazu entscheiden, meine Haare doch lieber zu behalten. Die Mädchen, die die Läuse mitgebracht haben, mussten zuerst ihre Zöpfe auf flechten. Diese Prozedur hat lange gedauert. Wir können uns die Vielzahl der Zöpfe, in die auch noch Perlen hineingeflochten sind, gar nicht vorstellen. Die Mädchen haben sich dabei gegenseitig geholfen. Der Hausmeister hat auf dem Markt ein lokales Mittel gegen Läuse gekauft. Es ist eine Pomade. Sie heißt „Venice“. Die Pomade wird auf den gesamten Kopf geschmiert, sodann wird eine Plastiktüte über die Haare gezogen und das Ganze muss mindestens 4 Stunden einwirken. Die Entlausung hat die ganze Nacht gedauert und Frau Scheiner hat darauf bestanden, dass die Mädchen mit dem gesponserten Sebamed Shampoo die Köpfe mindestens zweimal waschen. Mittlerweile haben die Mädchen wieder ihre Zöpfe auf dem Kopf. Sie waren am Wochenende zu Hause und dort haben sie sich die Zöpfe flechten lassen.

Wir haben den Kindern auch neue Rucksäcke für die Schule gegeben. Kaum einer hatte noch einen funktionierenden Rucksack. Sie haben es in der Tat geschafft, innerhalb von 2 Wochen schon recht viele kaputt zu machen. Deshalb war auch der Schneider da, der abgerissene Träger wieder angenäht und Löcher verschlossen hat. Wenn die Kinder allerdings weiter so mit den Rucksäcken umgehen, müssen wir den Schneider vermutlich bald wieder bemühen.

Die kaputten Rucksäcke sind einer von vielen Gründen für die Kinder, nicht zur Schule gehen zu müssen. So sind sie entweder krank, der Lehrer ist nicht da, der Unterricht fällt sowieso aus oder das Schulkleid haben sie leider genau an diesem Morgen gewaschen, sodass es nass ist und sie deswegen nicht zur Schule gehen können. Das war bisher glaube ich das kreativste, was ich gehört habe.

Ist ein Tag trotz all dieser Sachen dann doch mal zu Ende, gibt es nach dem chaotischen Abendessen noch die Behandlung der kleinen Blessuren durch Frau Scheiner. Wir – Frau Scheiner und ich – wollen einführen, dass ich während der Zeit, in der sie Wunden behandelt und desinfiziert, Musik mache, um die Kinder ein bisschen zu beschäftigen. Ich habe meine Gitarre schon öfter mit im Kinderhaus gehabt und die Kinder hören mir auch ganz gerne zu. Allerdings sind sie eher von schnellen Liedern begeistert, zu denen sie auch tanzen können. Und sie werden auch bei ruhigen Liedern nie wirklich still, denn einer oder eine redet immer. Aber im Grunde stört mich das wenig. Wenn die Kinder zu laut werden, höre ich eben einfach auf, zu spielen.

Bei so viel Action ist es kein Wunder, dass ich schon um 19:00 Uhr völlig fertig bin.
Das liegt aber auch daran, dass ich jeden Morgen um 5:30 Uhr aufstehe, um pünktlich um 6:00 Uhr mit den Kindern eine Runde zu laufen (ca. 800 m um den Palast). Allerdings ist das so früh morgens und nicht gerade in der Kälte doch recht schweißtreibend. Aber vermutlich geht das nur mir so. Ich habe ab und an das Gefühl, die Kinder könnten noch gut ein paar Runden weiterlaufen, während ich schon recht fertig bin. Aber vielleicht ändert sich das ja, und wir verlängern die Runde wirklich irgendwann.

In der Zeit, in der die Kinder in der Schule sind, beschäftige ich mich entweder mit meinen Berichten, laufe in der Stadt herum oder besuche verschiedene Schulen, den Markt, die Handwerker oder auch das Bürgermeisteramt. Ich war mit Ibrahima (dem Hausmeister des Kinderhauses) bisher schon in verschiedenen Schulen, auf dem Markt und im Krankenhaus. Die Schulen sind hier wirklich in schlimmen Zuständen. Von Ausstattung kann ich eigentlich gar nicht reden. Es gibt ein paar Holzbänke mit angeschraubten Tischen und eine Tafel. Allerdings sind diese Tafeln so kaputt, dass sie aus unserer Sicht wirklich nicht mehr zu gebrauchen wären. Mehr können sich die Schulen nicht leisten. Alle Wände haben viereckige, kleine Löcher anstatt von Fenstern. Und so sieht wirklich jeder Raum dort aus. Türen gibt es auch nicht immer und vor allem die Größe jeder Klasse ist überwältigend. Zum Teil bestehen die Klassen aus 100 bis 150 Schülern. Allerdings werden die Abschlussklassen häufig sehr viel kleiner, da am Ende der 12. Klasse ein Abschlusstest entscheidet, ob man für das letzte Jahr zugelassen wird. Dieser Test ist sehr anspruchsvoll und so gibt es viele, die ihn nicht bestehen. Wenn es aber nur einen Lehrer gibt, der die große Klasse dann unterrichten soll, gibt es zweifelsohne mehr als nur Schwierigkeiten. Aber die Schüler, die ich kennen gelernt habe, waren alle sehr nett und im Gymnasium wurde ich auch zum „Deutsch-Club“ eingeladen, wo die Schüler mit mir Deutsch sprechen wollen. In dem besagten Gymnasium habe ich auch schon mehrfach den Deutschunterricht besucht. Der Deutschlehrer, der selber kein Deutschbuch besitzt, hat mich herzlich willkommen geheißen und mich den Unterricht beobachten lassen. Er hat mir erzählt, dass die Schüler schon seit Jahren keinen Deutschlehrer mehr hatten, weswegen sie vom Niveau her sehr schlecht wären. Er hat erst dieses Jahr angefangen, als Lehrer zu arbeiten und hat deshalb auch noch nicht so viel Erfahrung, was besonders bei der Klassengröße natürlich sehr schlecht ist. Der Vize-Präsident des Gymnasiums, der selbst auch Deutschlehrer ist, hat mich gebeten, immer vorbei zu kommen, wenn ich mal Zeit habe. Die Schüler würden sich über jede Abwechslung freuen. Deshalb bin ich auch schon mit meiner Gitarre in der Schule gewesen und habe mit ca. 100 Schülern „Oh Tannenbaum“ geübt. Sie wollen aber noch mehr Lieder lernen und der Lehrer hat gesagt, ich solle doch bitte die deutsche Nationalhymne mit den Schülern üben. Na mal sehen, ob das so gut klappt. Auf jeden Fall freuen sich die Schüler immer sehr über meine Besuche und arbeiten auch ganz gut mit, wenn ich etwas mit ihnen machen möchte. In ein paar Tagen werde ich die Abschlussklasse besuchen, die gerade das Thema „Fremde“ behandelt. Dort werde ich einen Text über meine bisherigen Erfahrungen und Eindrücke vorlesen und mit den Schülern bearbeiten. Das trifft sich natürlich ganz gut, da ich ja gerade völlig in der Fremde bin. Die anderen Schulen haben mich auch eingeladen und gebeten, sie wieder zu besuchen; also muss ich mir mal einen Plan zusammenstellen, wann ich zu welcher Schule gehen kann.

Außer den Besuchen der Schule war ich wie gesagt auch auf dem Markt. Der besteht aus vielen Holzhütten ohne Wände. Es wird sehr viel Gemüse und ein bisschen Obst verkauft, aber auch Kleidung gibt es auf dem Markt, ebenso auch Medikamente. Der Markt hat eigentlich an jedem Tag ein paar offene Stände, aber der Markttag ist jedoch Freitag. Dann ist auf dem Markt auch das meiste los. Es ist eigentlich alles voll, da die Ware am Freitag am frischesten ist. Deshalb sollte man sich am Mittwoch oder Donnerstag auch zurückhalten und lieber bis Freitag warten, wenn man etwas kaufen will. Frau Scheiner und ich werden ja aber sowieso mit Essen aus dem Palast und Montag bis Freitag auch aus dem Kinderhaus versorgt. Allerdings beschränkt sich das hauptsächlich auf Reis und Kartoffeln. Deshalb freue ich mich immer auf Freitag, an dem es meistens frische Bananen gibt. Unabhängig vom Tag gibt es aber auch Weißbrot vom Bäcker, das allerdings auch gekauft werden will. Deshalb versuche ich mich langsam daran zu gewöhnen, meinen Hunger ein ums andere Mal runterzuschlucken und lieber auf die nächste festere Mahlzeit zu warten.

Beim Warten haben es die Leute hier eh zur Perfektion gebracht. Um z.B. den Lamido (Der Herrscher) zu besuchen, muss man natürlich einen Termin machen. Dann setzt man sich auf den Platz vor dem Palast, meldet sich bei den Palastbediensteten an und wartet, bis man hereingebeten wird. Es kann allerdings auch gut sein, dass man ein paar Stunden bis Tage warten muss, bis man dann endlich mal rein darf. Vor dem Palast ist auch immer ein relativ großer Andrang. Besonders groß war er beim Tabaskifest, das am 26.10.2012 stattfand. Am Vortag mussten sich alle Menschen, die im Dienste des Lamido stehen, bei ihm sehen lassen. Dementsprechend saßen vor dem Palast mehrere hundert Männer. Es waren so gut wie keine Frauen anwesend, weil diese hier eigentlich die Aufgabe haben, zu Hause die Kinder zu betreuen und das Essen fürs Fest vorzubereiten. Und da alle, die den Palast betreten wollen, vorher ihre Schuhe ausziehen müssen, war der ganze Platz von Schuhen geradezu übersät. Die Audienz von Frau Scheiner und mir sollte schon vor über einer Woche sein. Mal sehen, wann ich den Lamido dann endlich mal treffen kann. Doch nicht nur bei ihm muss man warten. Frau Scheiner und ich wollten eine Geburtsurkunde für ein Kind des Kinderhauses beantragen. Das bedeutet, dass wir bis zum Bürgermeisteramt fahren mussten, das sinnlos weit entfernt von der Stadt liegt. Dort sollten wir den Antrag stellen. Uns wurde morgens um 8:00 Uhr gesagt, dass die zuständige Frau nur bis 9:30 Uhr da sei und wir persönlich hinfahren müssten, da der Mann, der es direkt an Ort und Stelle machen könnte, zu viel zu tun hätte und außerdem auch auf Dienstreise sei. Besagten Mann haben wir dann 5 Minuten später vor dem Palast getroffen… Wie auch immer. Wir sind dann so schnell wie möglich zum Bürgermeisteramt gefahren und waren um ungefähr 8:50 Uhr da. Im Bürgermeisteramt haben wir dann eine Stunde gewartet, bis die Frau mit ihrem Kleinkind kam, die angeblich nur bis 9:30 Uhr anwesend sein sollte. Sie hatte anscheinend nicht so viel Lust, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Das Beantragen der Geburtsurkunde verlief auch etwas anders, als wir es vielleicht von unserer Bürokratie gewohnt sind. Frau Scheiner hat das Alter des Kinderhaus-Kindes geschätzt und den Pass der Mutter vorgelegt, die Frau hat das Alter des Vaters, der schon lange tot ist, geschätzt, und Frau Scheiner hat dann, ohne eine Quittung zu bekommen, bezahlt. Und eigentlich nur darum geht es: bezahlen. Wer bezahlt, der bekommt. Und da wir bezahlt haben, bekommen wir hoffentlich in einer Woche das Dokument, da der Junge sonst nicht in die nächste Klasse kommen und sitzen bleiben würde, selbst wenn die Aussagekraft der Urkunde nach logischen Gesichtspunkten gleich Null ist.

Am Ende jeder Woche gehe ich mit Ibrahima in den protestantischen Gottesdienst der Eglise fraternelle. Dort treffen wir auch immer den Vize-Präsidenten des Gymnasiums, der der Vorsitzende des Kirchenvorstandes ist. Der Gottesdienst ist hier aber nicht nur ein religiöses Treffen, sondern auch eine Art Versammlung, bei der die kommende Woche besprochen wird. Dort habe ich bisher vor allem die Erfahrung gemacht, dass die Musik der Kirche hier überhaupt gar nichts mit unserer zu tun hat. Aber sie ist sehr schön.

Das Klima, das Essen oder vielleicht der ungewohnte Stress haben leider dafür gesorgt, dass ich nicht am Tabaskifest teilnehmen konnte, sondern mit Durchfall zu Hause saß. Also muss ich mich wohl noch ein bisschen eingewöhnen, bevor ich wirklich richtig einsatzfähig bin.In Rey Bouba gibt es übrigens keine befestigten Straßen. Und hier ist ein Weißer auch etwas sehr besonderes, denn auf der Straße werde ich immer angesehen und häufig auch angesprochen.

Unsere Behausung ist für hiesige Verhältnisse wirklich sehr luxuriös und darüber bin ich auch sehr froh; wir haben ein Klo und eine Dusche. Die Dusche besteht aus einem Wasserschlauch. Das Klo haben wir schon 3 x reparieren lassen.Aber ich muss mich noch weiter auf die Verhältnisse hier einstellen. Zum Beispiel auf die Essenstakte. Denn man isst – wie gesagt – wenn es etwas gibt und nicht immer dann, wenn man glaubt, Hunger oder Appetit bzw. Lust aufs Essen zu haben. Und Strom haben wir auch noch nicht wieder durchgehend. Aber es hat sich schon gebessert, sodass wir fast immer auf eine Stromversorgung zurückgreifen können. Das ist doch schon mal ganz angenehm.

Hannes Salzmann
5.11.2012